Ein Nachruf auf Niklas Luhmann Der erste Dienstleister der Informationsgesellschaft

Gesellschaft

Üblicherweise galt Niklas Luhmann als derartige Provokation, dass zwischen seinen Jüngern und seinen Gegnern kaum je Gelassenheit herrschte. In linken und emanzipationsorientierten Kreisen ist sein Ruf eher der eines kalten Technokraten, eines arroganten Zynikers und Sozialdarwinisten.

Porträt von Niklas Luhmann.
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Porträt von Niklas Luhmann. Foto: Sonntag (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

23. August 2003
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Da er es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Kybernetik, die eigentlich aus der biologischen Evolutionstheorie und Informatik stammt, auf die Soziologie zu übertragen, ist da schon was dran. Seine Anhänger dagegen konnten seine Theorien im wahrsten Wortsinn predigen, mit verzückten Augen und ergriffener Stimme.

Ich habe mich ihm nie wirklich systematisch im akademischen Sinn gewidmet, und so möchte ich nicht erörtern, ob er den "Subjekt"-Begriff zurecht abschafft, keine moralischen Analysen, ob sein Systembegriff unhuman sei; ihn aber auch nicht als grössten Denker seit Hegel feiern.

Stattdessen versuche ich ein paar Grundzüge seines Theoriekosmos zu erklären und gebe paar Reflexionen zu seinem Projekt zum Besten. Luhmann starb am 06.11. im Alter von 70 Jahren an einer rätselhaften Pilzerkrankung.

Sein Plan klingt verrückt und grössenwahnsinnig: eine einzige grosse abstrakte Theorie der Gesellschaft, die für die ganze Welt zutrifft und alles erklärt, ein einziges gewaltiges Welterklärungssystem für alle sozialen Phänomene zusammen.

In seinem ersten Hauptwerk "Soziale Systeme" wird die Konzeption erst einmal begründet. Doch das über 500 Seiten starke Buch soll in seinem Gesamtwerk bloss das Einleitungskapitel ausmachen. In den vier Folgebänden: "Die Wirtschaft der Gesellschaft", "Das Recht der Gesellschaft", "Die Wissenschaft der Gesellschaft" und die "Kunst der Gesellschaft" wendet er seine Grundtheorie dann auf vier Teilbereiche des sozialen Lebens an. Jedes dieser Bücher umfasst noch einmal über 500 Seiten.

Ihr grosses Finale, das Abschlussfeuerwerk dieser umfassenden Gesellschaftssystematik erschien bereits im Herbst 1997: "Die Gesellschaft der Gesellschaft"; Umfang: rund 1200 Seiten! Es handelt von einer Theorie der Gesellschaft, wie sie sich selbst begreift, denn jede Theorie, die alles erklären möchte, muss logischerweise auch in sich selbst vorkommen.

Luhmann besitzt die Selbstironie, sein überwältigendes Lebenswerk von über 20.000 Seiten einer sozialkybernetischen Theorie der Weltgesellschaft, immer wieder als kolossalen Einfall darzustellen.

Wendungen wie: Wir wählen den Ausdruck Mensch, um festzuhalten, dass es sowohl um das psychische wie um das organische System des Menschen geht, oder: Die moderne Kunst ist in einem operativen Sinne autonom. Niemand sonst macht das, was sie macht, sind zwischen wissenschaftlicher Akribie und ironischer Albernheit anzusiedeln.

"Ich habe das Bedürfnis, in jedes Buch mindestens einen Unsinn reinzubringen", sagte er in einem Interview. Es ist dieser permanente Unterton zwischen allen seinen Zeilen: "Das alles habe ich mir nur ausgedacht", was ihn angesichts seines gewaltigen Vorhabens wieder lesbar macht, dass er zu keinem Zeitpunkt objektive Vernunft oder ethische Richtigkeit für sich allein beansprucht.

Luhmann ist auch ein Prototyp des autodidaktisch aufsteigenden Eigenbrödlers. "Es war so, dass ich mich - schon in der Schule nicht immer mit dem beschäftigt habe, mit dem ich mich hätte beschäftigen sollen. " Seine Karriere verlief steil aber nicht straight. Erste soziologische Forschungen betrieb der studierte Jurist quasi hobbymässig, neben dem Job als Ministerial­Beamter. Professor Helmut Schelsky wurde auf ihn aufmerksam und liess Luhmanns erste Publikation als Promotion und Habilitation durchgehen.

"Schelskys wichtiges Argument war natürlich, dass ich meine Existenz normalisieren müsste. Ich könnte nicht als unpromovierter Oberregierungsrat in die Geschichte eingehen. " So wurde Luhmann Soziologe, ohne dies als Lebensziel je direkt angepeilt zu haben. Er bevorzugte lediglich einen Lehrstuhl für Soziologie gegenüber anderen Fakultäten, "weil man als Soziologe alles machen kann, ohne auf einen bestimmten Themenbereich festgelegt zu sein. "

Ich denke, es ist voll und ganz legitim, ihn als einen völlig abgefahrenen Denker, ohne un­mittelbaren Nutzen zu sehen, als Abstraktionsästheten wundervoller Glaskathedralen der Theoriearchitektur, die in den abgehobensten Denk-Sphären in kristallener Schönheit leben und atmen. Fundament seines Gebäudes ist die Kybernetische Lehre der sich-selbst-regulierenden Systeme, die die Umwelt des Menschen neuerdings wieder beseelt betrachtet.

Gregory Bateson entwickelte ihre Grundzüge in den 40er Jahren: Man denke an einen Mann, der einen Baum mit einer Axt fällt. Jeder Hieb der Axt wird entsprechend dem Aussehen der Schnittkerbe des Baumes, die durch den vorherigen Schlag hinterlassen wurde, modifiziert oder korrigiert. Dieser selbstregulierende (d.h. geistige) Prozess wird herbeigeführt durch ein Gesamtsystem - Baum-Auge-Gehirn-Muskel-Axt-Hieb-Baum; und es ist dieses Gesamtsystem, das die Charakteristika des immanenten Geistes hat.

Diese Idee überträgt Luhmann auf die Soziologie; ausführlicher und differenzierter als hier dargestellt freilich. Er nimmt die Welt auseinander, setzt sie wieder neu zusammen. In die Reihe der grossen Sprüche, die vom biblischen: Am Anfang war das Wort, über Sokrates: Ich weiss, dass ich nichts weiss, und Descartes: Ich denke, also bin ich, bis Marx:

Das Sein bestimmt das Bewusstsein reicht - passt Luhmann sich ein, wenn er mit ähnlichem Pathos und grossem Diktum postuliert: Es gibt Systeme! Ein weiteres Beispiel dafür, wie subtil sein gewaltiges soziologisches Konstrukt immer wieder ins Witzige, ins Ironische kippt. Auch ein Beispiel dafür, wie er sich trotz Verwaltungsjargon und Beschränkung aufs Schrifttum, heimlich doch die Aura der alles erschliessenden beste verleiht.

Ausgeschlossen ist (..) die Auffassung, dass Nervensysteme wahrnehmen können. Gewiss ist das Nervensystem an das Bewusstseinssystem gekoppelt. Jedoch: jede systemtheoretische Analyse muss dem Unterschied der Operationsweisen der beiden Systemarten Rechnung tragen und folglich von verschiedenen Systemen ausgehen. So besteht die engste Kopplung zwischen Bewusstsein und Kommunikation. Wir nehmen vor allem gesellschaftlich wahr.

Der zivilisierte Mensch ist kein spezifisch denkendes, kein spezifisch erkennendes und auch kein spezifisch arbeitendes Lebewesen, sondern ein spezifisch gesellschaftliches Lebewesen.

Damit ist Gesellschaft total; zwar nicht dogmatisch oder autoritär; nur gibt es für den Menschen gar nichts, was nicht gesellschaftlich wäre.

Zwar ist die Gesellschaft endlos, vielschichtig, bunt, flexibel und voller Überraschungen, sie ist aber auch - alles. Ani sechsten Tag schuf die Gesellschaft den Menschen, spottet Ludwig Marcuse über ihre enorme Bedeutung im kulturellen Denken. Im Grunde sind die Begriffe der Totalität, der Gesellschaft und der Gottheit wahrscheinlich nur verschiedene Aspekte ein- und desselben Gedankens," meint Emile Durkheim.

So ist Luhmann ein Schamane des Gottes der Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Funktionen werden neu bestimmt und beseelt, ihre kalten Mechanismen und Regeln eigentümlich selbständig und lebendig.

Es macht seine Lehre so irrwitzig, dass er sie vom kleinsten Mikrokosmos, zum Beispiel der ersten Liebesbeziehung in der Steinzeit, bis zur modernsten Diskussion über Ökologie im Internet konzipiert. Warum gibt es überhaupt soziale Systeme? Luhmann geht davon aus, dass jeder Mensch vollkommen frei ist.

Darum ist es ja an sich bereits ein völlig faszinierendes und unglaubliches Phänomen, dass Menschen sich für gemeinsame Aktivitäten zusammenraufen, ja sich überhaupt füreinander interessieren -und nicht völlig beziehungslos jeder für sich allein dahinmachen. Luhmann sagt zum Ansatz seiner Theorie, er möchte das Normale für Unwahrscheinlich erklären.

Die Existenz von Justiz, Politik, Kunst, Familie, Wissenschaft, Wirtschaft, Medien..., alles soziale Systeme unserer Gesellschaft, die uns alltäglich und normal erscheinen, erklärt er also für enorme Zufälle. Wie kommt es, dass sie im Lauf der Geschichte und der Evolution entstanden sind? Wie kommt es, dass wir Menschen von ihren abstrakten Begriffen überhaupt ähnliche Vorstellungen haben?

Die sozialen Systeme besitzen eine innere Eigendynamik. Kein Mensch kann sie von aussen steuern oder kontrollieren. Dass sie sich urwüchsig entwickeln, macht sie im Kern unangreifbar.

Zwar meint Luhmann nicht, wie sie sich entwickelt hätten, hätten sie sich gut entwickelt. Doch die Realität bleibt die Wirklichkeit: das was sich als Gesellschaft realisiert, gibt zu den schlimmsten Befürchtungen Anlass, kann aber nicht abgelehnt werden.

Sein Denken betont die Unmöglichkeit gewisser Sozialplanung: Die nach der deutschen Vereinigung von der Bundesregierung bereitgestellten Investitionsanreize in Form. von Geld (Subventionen, Steuererleichterungen) wurden von westlichen Unternehmern nicht - wie vorgesehen - für Sanierung östlicher Betriebe verwendet, sondern für den Abriss der Anlagen möglicher Konkurrenten, um weiterhin ungestört den Markt beherrschen zu können. Was als Impuls in die eine Richtung gedacht, bewirkt gar nichts oder verkehrt sich sogar und geht nach hinten los.

Das soll nicht etwa Tatenlosigkeit begründen, sondern vielmehr auf Aufhebung der Theorie-Praxis-Unterscheidung hinauslaufen: Wenn ich den Unterschied von Praxis und Technik recht verstehe, liegt sein Angelpunkt in der Frage, ob das Handeln sich in einer Art Selbsterfüllung verwirklicht oder ob es nach einem Plan verfährt. (..) Nun fehlen aber in unserer modernen Gesellschaft die realen Grundlagen einer Trennung von ethischer und politischer Lebensform - etwa auf der Basis von Stadt und Haus.

Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen entmystifiziert er die Mythen der technischen Kultur, in einer selbst durch und durch technokratischen Sprache.

Entmystifiziert werden zum Beispiel die Protesthaltungen der Öko-Bewegung: Wieso ist sauberes Wasser Natur und schmutziges nicht? Vor dem Händewaschen ja, nachher nicht? Sind die Eiseskälte des Weltalls und dessen punktuelle Überhitzungen keine Natur? Die Ozonschicht ja, die Löcher in ihr nicht? Atome ja, Strahlung nein?

Entmystifiziert wird die Individualität der Geliebten: Man sucht im Sicheinlassen auf Intimbeziehungen (..) Gewissheiten, die über den Moment hinausreichen, und man findet sie letztlich in der Art, wie der Partner sich mit sich selbst identisch weiss: in seiner Subjektivität. Entmystifiziert wird die Idee einer objektiven Vernunft: Was innerhalb einer Diskussion von den Teilnehmern akzeptiert wird ist vernünftig.17 Und entmystifiziert wird freilich auch die Religion: Stelle jeder positiven und jeder negativen Erfahrung einen positiven Sinn gegenüber! Wenn und soweit Du das kommunizieren kannst, kommunizierst Du im System der Religion. - das alles hat was Entzauberndes.

Und es hat was Verzauberndes! Die links-alternativ neurotischen 70er Jahre werden ersetzt durch die aggressiv bio-mechanoiden 90er. Der Gesellschaftskritik wird das Hysterische und Überspannte genommen. Mit Luhmann kritisiert man unbeteiligt und ohne Ambitionen auf direkte Einflussnahme. Der Flug muss über den Wolken stattfinden und es ist mit einer ziemlich geschlossenen Wolkendecke zu rechnen, lautet sein Wahlspruch.

Es hat ein bisschen was Arrogantes, sich so zurückzulehnen - und das soziale Leben mit einem gleichmütigen und rein technischem Interesse zu beobachten.

Man fühlt sich abgeklärt und intellektuell auf die schlimmsten Möglichkeiten vorbereitet, weder zu überraschen noch zu enttäuschen. Doch macht seine Aufklärung die Welt nicht kontrollier- oder berechenbarer. Nehmen wir ein Beispiel.

Als Subjekt hat jeder Anspruch, mit seinem Zweifel gehört zu werden. Im Kontext der Intersubjektivität werden Zweifel gewichtet und in Grenzfällen aus der Kommunikation ausgeschlossen. Dem Zweifler wird dann nicht seine Subjektivität bestritten, aber, was er äussert, wird als eine bloss subjektive Meinung genommen und, wenn die Abweichung hinreichend drastisch ist, der Psychiatrie überantwortet.

Ein Zitat, das bedenklich stimmt: zwar legt Luhmann den Finger auf eine Wunde der aktuellen Gesellschaft, doch tut er dies eigentümlich neutral, ohne Rührung zu zeigen. Es ist diese biomechanische Menschenleere in Luhmanns Theorie, die sich immerhin mit der Gesellschaft befasst, was frösteln lässt.

Dafür wurde er besonders von linken und emanzipationsorientierten Menschen kritisiert: Super-clean-Bereiche in Fabriken, akustische Isolation samt Sicherheitszonen in Funkhäusern und Hochsicherheitstrakte sind typische Ausprägungen dieser Tendenz zur sensorischen Deprivation, zu der Luhmanns Texte über weite Strecken das sprachliche Äquivalent darstellen, schrieb die linke Zeitschrift "Das Argument."

Und es ist sein spezieller Stil, wie er zwischenmenschliche Sensationen so knochentrocken auf psychosozialsystemische Funktionen reduziert, der den eigentümlichen Appeal ausmacht, den Luhmanns Denken auf viele junge Leute ausübt.

Auf der anderen Seite ist gerade dies ja auch Aufgabe der Wissenschaft, eben nicht sentimental zu sein. Und wenn Jürgen Habermas ihm vorwarf, als versteckter Ideologe herrschende Ungerechtigkeiten zu decken, und er, Luhmann souverän reagiert, indem er noch Habermas' moralisch utopische Emanzipationslehre an wissenschaftlich ungereimten Stellen ausbesserte, kann man ihm Menschenfeindlichkeit eigentlich nicht mehr vorwerfen.

Die technokratische Systemsoziologie zeigte der basisdemokratischen Utopie ihre Grenzen und Schwachstellen, freundlich, ohne dabei die kontrafaktische Hoffnung mit abzukanzeln.

"Was sie machen, Herr Luhmann, ist alles falsch, aber es hat Qualität ", so lobte und tadelte ihn Jürgen Habermas. Denn Habermas war mehr ein Sinnstifter als ein Sozialtheoretiker. Für ihn spielte es weniger eine Rolle, die Realität in eine Technologie zu bringen, als vielmehr für mehr Basisdemokratie zu werben. Luhmann arbeitet mit einem bescheidenerem Sinnbegriff, der dafür näher am modernen Menschen ist. "Sinn" existiert für Luhmann nicht in dem hohen Sinn wie für Habermas oder den gläubigen Christen oder Marxisten.

Zwar ist Luhmanns "Sinn" mehr als nur ein blosser Zweck, aber noch lange kein Lebenssinn. Für ihn leben die Menschen mit vielen mittelgrossen Sinnen, von der letzten Ausbildung bis zur nächsten Urlaubsreise mit der Freundin, vom Engagement für eine kommunale Partei bis zum Training für ein grosses sportliches Ereignis oder der Aufführung eines Laientheaterstücks im örtlichen Gemeindezentrum.

Der Sinn ist nicht der Motor, der über alle Krisen hinweg bestehen hilft, zu starken Gruppen zusammenschweisst oder Kreuzzüge ins Feld führen lässt. Doch hat Luhmanns Theorie auch nichts vom Gejammer der Kulturpessimisten, die Sinnkrisen heraufbeschwören und sich um lauter arme Geschöpfe ohne starke leitende Gottgestalt sorgen. Die Instabilität des Sinnes liegt in seiner Unhaltbarkeit des Aktualitätskerns; die Restabilisierung ist dadurch gegeben, dass alles Aktuelle nur im Horizont von Möglichkeitsanzeigen Sinn hat.

Das erinnert entfernt an Lao-Tses ersten Spruch: Ist der Sinn des Alls in Worten anführbar, / so ist dies nicht der ewige Sinn, und es erinnert an fernöstliche Welt-Erklärungssysteme. Luhmanns Universum ist wie der viel zitierte Brunnen, der ewig fliesst und in Bewegung ist und doch im wesentlichen immer gleich bleibt

Seine Faszination liegt gewiss auch in der inneren Dynamik und Wandlung. Er entwickelt ein Weltverständnis sozialer Systeme in Form eines organischen Hyper-Mechanismus. Seine komplexe Vorstellung von der Gesellschaft gleicht einem mehrdimensionalen Urwald mit schwarz­en Wurmlöchern, den ein durchgeknallter Programmierer auf dem Computer simuliert. Seine Theorie ist eine Gedankenarchitektur im Weltraum, abgehoben, faszinierend verschachtelt, ver­stiegen und vielseitig kaleidoskopisch. Seine Lehre ist grausam und einnehmend zugleich.

Da er sie konsequent labyrinthisch anlegt, mit zahlreichen Querverweisen wie Links im Internet, und zudem zahlreiche neue Begriffe erfindet, einführt, kann man in sein Universum tatsächlich eintauchen und versinken. Man kann sich in ihm verlieren, von ihm einnehmen lassen - und Situationen und das Leben durch eine Luhmannsche Brille betrachten.

In tausend Angelegenheiten mischte er sich ein. Juristen, Politiker, Pädagogen, Künstler, Liebende und Protestbewegte sollten sich von der Systemsoziologie belehren lassen. Ob sie es wollten, war eine andere Frage. Doch er bewies damit nicht nur die Universalität seiner Theorie, sondern auch, wie massgeschneidert sie jedem konkreten gesellschaftlichen Phänomen sich anpassen liess.

In diesem Sinn war Luhmann auch einer der ersten Dienstleister der Informationsgesellschaft: ein Denker, der zu allen Themen was zu sagen wusste, und dabei stets bei sich selbst blieb.

So war er auch ein Pop-Schamane in der entzauberten Moderne, der die kybernetische Lehre alltagsfähig aufbereitete, die sozialen Systeme in die Lebenswelten der Menschen trug und den zeitgemäss sozial denkenden Menschen zur Jahrtausendwende eine Unzahl Schmöker zum dran abarbeiten hinterliess.

ub